Drastische Zunahme der Zahl von Verkehrstoten in den USA
Zurück zum generellen Unfallgeschehen. Ein ganz anderes Bild als in der EU zeigt sich in den USA. Hier stieg die Zahl der Verkehrstoten im Jahr 2016 nach Angaben des National Safety Council (NSC) auf über 40.000 an. Gegenüber dem Jahr 2015 mit knapp 35.100 Verkehrstoten bedeutet dies eine Zunahme um 15 Prozent. Die Entwicklung ist umso dramatischer, als in den USA bereits von 2014 auf 2015 ein Anstieg um 7,2 Prozent zu verzeichnen war. Innerhalb von zwei Jahren bedeutet dies den höchsten Anstieg seit über 50 Jahren. Angesichts der zunehmenden Fahrzeugsicherheit durch eine Vielzahl an Assistenzsystemen sowie mehrere Hundert Millionen US-Dollar, die in den letzten zehn Jahren in unterschiedlichste Kampagnen gegen Raserei, Alkohol oder Ablenkung am Steuer gesteckt wurden, macht diese Entwicklung viele Verkehrssicherheitsexperten ratlos.
Neben Trunkenheitsfahrten scheint in den USA insbesondere die Ablenkung durchs Smartphone ein weitverbreitetes Übel zu sein. Erst Ende März 2017 kamen bei einem Verkehrsunfall in Texas 13 Menschen ums Leben, weil der unfallverursachende Fahrer eines Pick-ups am Steuer SMS-Nachrichten versendet hatte. Untermauert wird die Problematik durch eine aktuelle Studie von Cambridge Mobile Telematics, wonach bei 52 Prozent der Fahrten, die mit einem Unfall endeten, das Smartphone genutzt wurde. Laut Auswertung von Telefondaten nutzten 20 Prozent der Unfallbeteiligten ihr Smartphone während der Fahrt bis zum Unfall durchschnittlich über zwei Minuten. In 30 Prozent der Fälle erfolgte die Handynutzung bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h.
Auch die Tatsache, dass in den USA der Sicherheitsgurt trotz einer inzwischen auf durchschnittlich über 90 Prozent angestiegenen Anlegequote häufig ungenutzt bleibt, könnte für die vergleichsweise hohe Zahl an Verkehrstoten mitverantwortlich sein. So kamen 2015 nach Angaben der National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) bei Straßenverkehrsunfällen 22.441 Pkw-Insassen um ihr Leben. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das eine Zunahme um 6,6 Prozent. Von den getöteten Pkw-Insassen waren sage und schreibe 48 Prozent, also rund 10.770, nicht angeschnallt. In den beiden Jahren zuvor waren 49 Prozent der getöteten Pkw-Insassen nicht angeschnallt, 2012 sogar 52 Prozent. In einzelnen US-Bundesstaaten wie zum Beispiel Montana, Nebraska, North Dakota oder Wyoming belaufen sich die Quoten der nicht angeschnallten getöteten Pkw-Insassen auf bis zu 70 Prozent und mehr.
Dabei ist der sicherheitstechnische Nutzen des Gurts bereits in unzähligen internationalen Studien überdeutlich belegt worden. So haben zum Beispiel Rune Elvik und seine Kollegen vom Institute of Transport Economics in Oslo nachgewiesen, dass das Anlegen des Sicherheitsgurts auf den Vordersitzen im Pkw das Risiko tödlicher Verletzungen um 45 bis 50 Prozent reduziert, das Risiko leichter und schwerer Verletzungen um 20 beziehungsweise 45 Prozent. Für angeschnallte Pkw-Insassen auf den Rücksitzen reduziert sich das Risiko tödlicher und schwerer Verletzungen um 25 Prozent, das Risiko leichter Verletzungen um bis zu 75 Prozent. Nicht angeschnallte Pkw-Insassen auf den Rücksitzen gefährden bei einem Unfall übrigens nicht nur ihr eigenes Leben. Durch den Aufprall kann es passieren, dass sie nach vorn geschleudert werden und mit dem Fahrer oder Beifahrer kollidieren beziehungsweise deren Sitzlehne nach vorn drücken, was zusätzliche Verletzungen vor allem im Brust- und Beckenbereich der vorn Sitzenden verursachen kann.
Strengere Kontrollen mit entsprechenden Bußgeldern scheinen daher dringend angebracht. Aktuell erlauben es sogenannte primäre Gurtgesetze der Polizei in 34 Bundesstaaten der USA, gegen Autofahrer allein wegen eines Anschnall-Verstoßes ein Bußgeld zu verhängen. In den übrigen Bundesstaaten gelten lediglich sekundäre Gurtgesetze. Das bedeutet: Die Polizei darf nur dann einen Strafzettel ausstellen, wenn Verkehrsteilnehmer noch einen weiteren Verstoß begangen haben. Nicht angeschnallt zu sein, reicht nicht für die Verhängung eines Bußgeldes. Und: Bis heute gibt es in New Hampshire als einzigem US-Bundesstaat keine gesetzliche Anschnallpflicht – zumindest für alle, die älter als 18 Jahre alt sind.