Hohe Schutzwirkung von Fahrradhelmen bei Schlagprüfung
Das Nutzenpotenzial von Fahrradhelmen zum Schutz des Kopfes bei Unfällen ist unbestritten. Gleichzeitig sind die Helmtragequoten auf dem Globus sehr inhomogen verteilt, wie auch die im Kapitel Mensch vorgestellte Erhebung der DEKRA Unfallforschung in verschiedenen europäischen Hauptstädten eindrucksvoll zeigt.
Die Gründe, warum ein Helm getragen oder eben auch nicht getragen wird, sind unterschiedlich und werden von vielen Faktoren beeinflusst. Die zerstörte Frisur oder das Aussehen spielen dabei genauso eine Rolle wie beispielsweise persönliche Erfahrungen, die Häufigkeit von Radfahrern in der jeweiligen Region oder auch die Art und Nutzung des Rads und nicht zuletzt gesetzliche Rahmenbedingungen.
Grundsätzlich bietet der Markt eine Vielzahl an Helmmodellen und -konzepten. Genauso groß wie das Angebot ist auch die Preisspanne. Grundlegende Anforderungen sind dabei in verschiedenen Standards wie zum Beispiel EN 1078, CPSC, JIS T 8134 oder CAN/CSA-D113.2-M89 (R2014) definiert. Diese müssen in den jeweiligen Regionen erfüllt werden. Über diese Basisanforderungen hinaus haben die Hersteller aber viel Gestaltungsspielraum. Um Informationen zum Dämpfungsverhalten zu erlangen, unterzog DEKRA unterschiedliche Helme in einer nicht standardisierten Testreihe einer Schlagprüfung.
Um einen Mehrwert zu generieren, wurde dabei bewusst auf eine Prüfung zurückgegriffen, die so im europäischen Standard EN 1078 nicht enthalten ist. Hierfür wurde der jeweils auf einen mit Messtechnik versehenen Prüfkopf aus Stahl aufgezogene Helm im 30-Grad-Winkel gegenüber der Senkrechten positioniert und mit einem runden, fünf Kilogramm schweren Prüfkörper beaufschlagt. Die Fallhöhe des Prüfkörpers betrug einen beziehungsweise zwei Meter. Die daraus resultierende und in den Helm eingeleitete Energie entspricht damit 50 respektive 100 Joule. Derartige punktförmige Belastungen treten im realen Unfallgeschehen zum Beispiel dann auf, wenn der Kopf des Radfahrers im Laufe einer Kollision gegen feste Fahrzeugteile wie die A-Säule oder die Dachkante über der Windschutzscheibe schlägt. Die Oberflächengeometrie am Fahrzeug entspricht dabei selbstverständlich in der Regel nicht der Halbkugel des Prüfkörpers – Rückschlüsse auf das Dämpfungsverhalten bei einem derartigen Anprall sind aber möglich.
Für die Testserie wurden unterschiedliche Helme bei einem großen deutschen Onlinehändler für Radbedarf gekauft und zusätzlich zwei ältere gebrauchte Helme getestet. Alle klassischen Fahrradhelme wiesen bei den Schlagprüfungen eine hohe Schutzwirkung auf. Die mit dem Testprojektil punktförmig eingeleitete Kraft wurde großflächig durch die Helmschalen und die Helmkonstruktion wirkungsvoll auf den am Kopf anliegenden Innenteil verteilt. Durch Deformationen und Brüche der Hartschäume der Helmschale wurde zudem Energie absorbiert und die auf den Kopf einwirkende Belastung weiter reduziert.
Bei einem Sturz wirken hohe Kräfte auf den Kopf.
Das beste Ergebnis im Test erzielte ein aktueller hochwertiger Helm mit integriertem MIPS, wobei MIPS für Multi-directional Impact Protection System steht. Zur Erläuterung: Das MIPS wurde entwickelt, um Rotationskräfte zu absorbieren, die bei einem Aufprall am Kopf und Gehirn entstehen. In den meisten Fällen stürzt der Kopf des Radfahrers bei einem Unfall nicht senkrecht auf die Straße, sondern prallt in einem schrägen Winkel auf die Straßenoberfläche. Durch hierbei auftretende Rotationskräfte kann es zu Schädigungen des Gehirns kommen. Das MIPS soll hier entgegenwirken und diese Rotationskräfte abmildern. Hierbei wird eine bewegliche Schlagprüfungen durch. Kunststoffschicht an der Helminnenseite angebracht. Diese kann um etwa einen Zentimeter in jede Richtung hin und her bewegt werden. In der Regel ist das System mit jedem Helmtyp kompatibel und kann herstellerseitig prinzipiell auch für herkömmliche Modelle nachgerüstet werden. Beim getesteten Helm mit MIPS wurde eine auf den Kopf einwirkende Kraft von 3,8 kN gemessen. Etwas höhere Belastungswerte mit 4,0 kN erzielte ein baugleicher Helm ohne MIPS.
Um Erkenntnisse zum Einfluss des Helmalters zu erlangen, wurde ein sieben Jahre alter Discounter-Helm verwendet. Die gemessene Kraft lag bei 4,2 kN. Ein nahezu 21 Jahre alter, sehr hochwertiger Helm erreichte einen Wert von 4,5 kN. Zwei der im Herbst 2019 beschafften Jugendhelme hatten die Produktionsdaten Januar 2018 und Dezember 2016. Im Test erreichte der neuere Helm den Wert von 4,9 kN, der ältere hingegen nur 5,4 kN. Ein anderer Jugendhelm reduzierte die Belastung auf 4,3 kN.
Ein ebenfalls getesteter Helm, der den Anforderungen für S-Pedelecs mit einer elektrisch unterstützten Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h entspricht, schnitt in diesem Test mit Belastungswerten von 4,8 kN und 5,1 kN ähnlich ab wie die regulären Fahrradhelme. Durch die andere Bauform werden aber weitere Anprallszenarien abgedeckt, sodass der Kopf auch dann gut geschützt ist, wenn klassische Fahrradhelme an ihre Grenzen kommen.
Bei der Schlagprüfung wirkungslos war ein getesteter Airbaghelm. Durch das Gewicht des Fallkörpers wurde das Material des Airbags punktuell an einer Stelle aufgerissen, was zu einem Verlust des Füllgases und damit der Schutzfunktion führte. Inwieweit ein solches Verhalten auch beim Anprall gegen „scharfkantige“ Bordsteine, beim Eintauchen des mit dem Airbag geschützten Kopfes in eine splitternde Windschutzscheibe oder auch beim Kontakt mit schmalen, aber harten Fahrzeugbauteilen wie einer A-Säule auftritt, konnte im Rahmen der durchgeführten Tests nicht ermittelt werden.